Liegen die Herzen nicht blank gerade

Liegen die Herzen nicht blank gerade

Text von Dagmar Moser aus dem Jahr 2009

Liegen die Herzen nicht blank gerade. Nichts geht vor oder zurück. Jeder atmet Zug um Zug dem wirklichen Frühling entgegen. Die verdammte Sonne kommt, verspricht alles, hält wenig.
Träumend liegen wir nächstens in unseren Betten und wälzen uns von einer Seite auf die andere. Die eigene Wärme täuscht uns Möglichkeit vor, da könnte noch etwas kommen.
Dies Fassen in den anderen. Dies Innehalten, dies Glauben, dass bei der Suche auch ein Finden und wahres Entdecken sein kann. Verwirrte lesen, weil sie nichts mehr wissen, den Luhmann, der schrieb über die Codes der Intimität, schrieb über Interpenetration, meinte damit, das Wollen und Dürfen, den anderen zu erfahren, wer er ist. Spannend dabei ist freilich, dass der Suchende, der Liebende sein vis á vis dabei möglicherweise mehr begreift als der Geliebte sich selber. Das ist wirklich gefährlich. Wer will schon dekodiert werden. Da wird es nämlich eng, da berühren sich wirklich die Herzen. Der übliche Schmus aus den Flachbildschirmen ist flach. Klingt nach Liebe, schmeckt aber nicht danach. Ist schon seit geraumer Zeit ein Surrogat geworden, und wir Dummen haben uns daran gewöhnt, denken, so ist es richtig, so ist gut. Das ist der Höhepunkt.
Nicht einmal die erste Kurve haben die Konsumenten am anderen begriffen oder überwunden. Ist wie Kindergartenspiel von Erwachsenen, nur nicht unschuldig mehr, aber bestürzend einfach und ambitionslos unauthentisch.
Wie geht es einer, die keinen Flachvermittler seit Jahren zu Haus hat, die dann irgendwo in die Welt der Programme sinkt, übermäßig den Inhalt in sich aufnimmt bis in die Dämmerung.
Nicht gut, die versteht nichts, ist angeekelt, ist nicht mehr vermittelbar an diese Welt, wenn die Welt wirklich da draußen so ist. Soapserien, Halbrealityshows, extremster Exhibitionismus, Schönheitswahn, Lippenverdickung, Brustaufgeblasen und die reden dabei auch noch von Liebe. Zu wem, wofür, wozu. Das nur um sich selber Kreisen ist nichts weniger als Nichts.
Ihre D ist erschüttert, glaubt sie doch noch an die Innenwandgeheimnisse. Dort ist das zwischenmenschliche Abenteuer, dort liegt die Möglichkeit, dass Mann Frau wirklich erkennt und im Erkennen sich selber erkennt. Dort auch ist die Körperlichkeit gelebt, niemals fade.
Angelo, von Küssen will ich jetzt gar nicht reden. Was wäre, wenn wir, egal wo wir sind, spontan aufstehen, egal wer da ist, und den auf den Mund küssen täten. Einfach so. Nicht flüchtig, sondern wirklich. Dann ginge man wieder, verabschiede sich, wortlos. Worte sind wahrlich, um uns im Überfluss zu hören. Sind sie nicht so inflationär verwendet, entbehrlich?
Ihre Semantik wird so eingetrübt durch die unbedachte Benützung der Worte, dass alles einen anderen Sinn bekommt. Die Sprache wird mit einem Mal zur Fremdsprache, obwohl wir nicht das Land verlassen haben. Das Fallen ins Fallen ist unaufhaltsam dabei.
Was täte uns retten? Was? Die alten Bücher, die Menschen, die das Geschenk, die die Sprache uns gab, noch verstehen und ehren, und ja, die, die küssen. Und dabei mit einer sachten Bewegung irgendein Hautstück am Kopf oder Hals berühren, weil dahinter der eigentliche Herzschlag liegt. Der Code. Das Geheimnis. Die Zeitspanne zwischen Geburt und Jetzt und Tod. Vielleicht auch der Auftrag, den uns das Leben abverlangen will, aber meist scheitert am nicht gehört werden. Was verdammt noch einmal klingt in uns.
Keine guten Tage für leise Töne, die das ahnen, sind einsam und manchmal auch verwirrt, werden vom Alltag abgenutzt, retten sich abends nach Hause und versuchen dort ihre Balance wiederzufinden, liegen schlafend oder wachend im Bett, erleben ihre eigene Wärme als etwas Fehlendes, weil die andere, die von ihm oder ihr fehlt. Selbst wenn er oder sie daneben liegt, fehlt sie, da ja die Sprache schon längst ihre Begrifflichkeit verloren hat, und beide seit Monaten oder Jahren aneinander vorbeireden, ohne auch den Hauch einer herauf dämmernden Ahnung zu haben.
In einer Liebesgeschichte zu sein, aber es doch nicht zu sein, dreht das Rad der Verwirrung nur noch schneller voran, verändert die Semantik noch mehr, steigert sich verheerend zu einem Taifun und lässt
am Ende des Tages merkwürdige Kleintrümmer hinter sich. Darüber dürfen wir dann auch noch stolpern und glauben, das ist das Salz des Lebens. Ist es aber nicht. Nur der Abfall des (Konsumation-) Wahnsinns.
Wohin, mein Freund, können wir uns da retten. Fragt Ihre D.
Übelste Worte knallen durch meinen Kopf, Fut, Scheiße, Fuck. Nur die Versuche, mit diesen Ausdrücken irgendetwas zu bannen, gelingt nicht. Wir stehen bis zum Kinn im Morast der Ergüsse aus den Medien, aus der Sprach- und Bildverstopfung. Ihre verdammte beruflich Welt.
Sollen wir alles neu erfinden?
Jedes Wort bekommt eine frische Bedeutung, einfach von vorne anfangen, wie die Säuglinge, die diesen wahnsinnig guten engen Mutterleib verlassen, rausmüssen, weil es einfach zu erdrückend klein wurde, wäre es nicht so, würden sie vermutlich bleiben bis zum Umfallen der Mutter. Aber so, ist die Enge zu gefährlich und der Säugling strebt ins Licht und ans Wort.
Am Anfang war das Wort, und das versteht der neue Mensch natürlich gar nicht, könnte ja auch ein reinkarnierter Koreaner sein, oder eine Schiite aus dem Jemen, aus dem Rub al Kali Gebiet. Der täte ja nur Sand kennen von früher und Wasserarmut, und diese Kamele, die sie mehr lieben als ihre Frauen.
Egal, ob jetzt ganz neu oder wiedergeboren, da wäre der Beginn des Sprachlernens wieder.
Die Begrifflichkeit Tisch muss erst erfasst werden, um erkennt zu werden, das ist ein Tisch.
Drehen wir alles zurück bei uns Erwachsenen, und der Tisch wäre es nicht mehr, wäre neu ausgeschrieben und ab nun die Illusion, alles verdreht also, alles neu gemischt. Neues Kartenspiel am Tisch. Ist das nicht die Lösung? Um zu überleben, dürften wir eine Zeit lang nicht in Banalitäten sinken, denn beim Erlernen wird doch anfänglich so ziemlich alles hinterfragt, fehlerbedingt falsch ausgesprochen, verdreht verwendet, und doch im Verdrehen, viel klarer als der Shit-Erguss von hier und jetzt, Sprache und Sinn erlebt.
Die Codes der Intimität erhielten natürlich auch ihre frischen Bedeutungen. Wäre das unser aller Chance, oder verstünden es nur wieder die wenigen der wenigen, die diesem neu Aufsetzen gar nicht bedürft hätten. Reset für die Menschheit.
Liegt die Qualität der Sprache dicht bei der Liebe? Verlernen die Hunde im permanent schnattern jedes Gefühl für das Wort, haben sie zeitgleich auch die Feinheiten des Liebens vergraben wie einen alten Knochen. Und den finden sie nicht mehr. Der wartet so dahin, wartet geduldig, verliert an die Tiere unter der Erde seine Substanz, wird gefressen von Engerlingen und ähnlichen Vielfüßigkeiten. Dummer Hundin oben, mit neuen Schuhen vielleicht besohlt, hat selbst die Ahnung, dass es da ja noch diesen Knochen gibt, verlegt.
Im Grunde wollen sie alle zurück in den engen Mutterleib, da waren sie glücklich, da waren sie völlig eins mit dem äußeren System, mit dem Nahrungsautomat, kein Frieren, kein Licht der Erkenntnis. Doch halt, da verrenne ich mich, diese Finsternis ist möglicherweise die Erkenntnis pur, wie eine Einsiedlerklause im feuchtbrutwarmen Hinterland Balis.
Die Mutterleibler sind die besten Konsumationswahnsinnigen, weil nicht im richtigen Leben angekommen, kompensieren sie bis zum Abwinken.
Liebe|Sprache darf nicht inflationär missbraucht werden. Ist kein Zug, den man einfach verlassen darf, bei der nächst kommenden Station? Ist kein Sonntag Morgen, aus dem man betrunken wieder raus wanken kann? Ist doch noch immer das Hohelied an uns selber mittels Umweges über den anderen. Ja, lieben ist nicht altruistisch, ist nur einmal ums Eck gelaufenes Erkennen von uns, durch das Anfassen des Geliebten in jeder möglichen Hinsicht. Küssen wir uns einfach auf den Mund, mit Zunge, ohne Zunge, einerlei. Ein wenig länger freilich sollte er sein, damit er wirkt, sonst, so fürchte ich, hätte er keine Chance, den Takt zu ändern.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to top